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13.10.2007: Deutschland - Die lächelnde Schnauze

Von wegen Wolfserbe: Nicht nur das Lachen hat der Hund vom Menschen gelernt - auch die Art zu kommunizieren und zu fühlen. Im Hund menschelt es mehr als gedacht.

Die Begegnung zwischen Hund und Wolf endet immer in einer Katastrophe. Eine Kette von Missverständnissen, die rasch eskaliert und meist darin gipfelt, dass einer von beiden sich schleunigst aus dem Staub macht, meistens der Wolf. Hund und Wolf sind einander unheimlich geworden, das Verhältnis so zerrüttet wie im Märchen die Beziehung zwischen Wolf und Mensch.

Der Grund: Im heutigen Hund menschelt es mächtig, viel mehr, als Verhaltensforscher es bei Hasso und Co. für möglich hielten. Über Jahrtausende der Zweisamkeit hat sich der beste Freund des Menschen seinem Herrchen angenähert. Lange galt der Hund als verweichlichter Isegrim, in seiner Ausdruckskraft ein degenerierter Ex-Wolf, dem ein Drittel der Hirnmasse weggezüchtet wurde und der überdies in Abhängigkeit seines Herrchens zum kläffenden Trottel verkrüppelte.
Inzwischen wissen Forscher: Der Hund ist nicht dumm. Er ist nur dem Menschen viel ähnlicher als angenommen. Der Verhaltensforscher Brian Hare vom Leipziger Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie fasst das so zusammen: "Wir sind sicher, das im Verlauf der Domestizierung viele sozial-kognitiven Fähigkeiten der Hunde mit denen des Menschen verschmolzen sind."

Das fängt an bei der Kommunikation. "Ein Wolf verständigt sich mit über 60 verschiedenen Mienen", sagt Dorit Feddersen-Petersen, Verhaltensforscherin am Kieler Institut für Haustierkunde, "der Schoßhund hat nur noch vier bis fünf. Stattdessen hat er sich darauf verlegt, sich über die Stimme auszudrücken." Die meisten Belllaute zählen Verhaltensforscher beim Bullterrier: Belegt sind zwölf verschiedene Arten, mit denen er seinen Willen kundtun kann - die Skala reicht vom halblauten Hecheln, über Bellen, Jaulen bis hin zum Vibrationsknurren. Das Bellen ist für Norbert Sachser, Verhaltensbiologe aus Münster, eine typisch menschliche Adaption: "Wer in der Natur zu laut ist, wird gefressen." In Gegenwart des Menschen ist es umgekehrt: Wer Futter will, muss sich bemerkbar machen.
"Der Hund kann Dinge, von denen man lange geglaubt hat, dass nur Menschen sie beherrschen", sagt Harvard-Anthroplogin Juliane Kaminski. Kein Lebewesen versteht es so gut wie der Hund, Mimik und Gestik des Menschen zu lesen. Dass Hunde uns sogar besser verstehen als unsere nächsten biologischen Verwandten, belegt eine Studie mit verstecktem Futter. Schimpansen, domestizierte Wölfe und Hunde traten gegeneinander an. Sie sollten verstecktes Futter finden, das der Versuchsleiter mit Blicken, Gesten oder einem Holzstück anzeigte.

Fazit: Von elf Schimpansen und Hunden gelangten neun Hunde und nur zwei Affen ans Ziel. Die Hunde schnitten auch besser ab als Wölfe, obwohl die vom Menschen aufgezogen waren. Den Wölfen wurde das Diktat ihres Instinktes zum Verhängnis: Ein Blick ins Gesicht eines Artgenossen bedeutet blanke Aggression. Dass ein Wolf dem Menschen prüfend-suchend ins Gesicht schaut, ist daher ebenso märchenhaft, wie Isegrim Auge in Auge mit einem Jäger. Anders der Hund: Über Jahrtausende der Zweisamkeit hat er es sich zur Gewohnheit gemacht, die Stimmung des Menschen vom Gesicht abzulesen. "Wenn es darum geht, menschliches Verhalten zu deuten, kommt kein Tier an die Fähigkeiten von Hunden heran", sagt Kaminski.

Wölfen lassen sich solche kommunikativen Fähigkeiten auch nicht antrainieren - das zeigten Versuche mit Wolfswelpen der Universität Budapest. Die Jungtiere sollten lernen, über den Menschen an ihre Fressnäpfe zu kommen. Auch nach Wochen war bei den Wölfen der Groschen nicht gefallen, während die Hunde nur auf ihre Bezugspersonen fixiert waren: "Die Wölfe verstehen den Menschen nicht als Schlüssel zum Futter", schreiben die Forscher, "sie sehen nur das Fleisch."

Vom Menschen hat der Hund auch das Lächeln gelernt. Unter Wölfen ist es ein Zeichen von Aggression, die Zähne zu blecken. "Der Haushund hat sich inzwischen so an den Menschen angepasst, dass das Zähnezeigen ein Begrüßungssignal ist", sagt der schwedische Verhaltensforscher Erik Zimer. "Der Hund hat vom Menschen das Lachen gelernt."

Die symbiotische Beziehung zwischen Homo sapiens und seinem besten Freund schlägt sich auch im Erbgut nieder. Das zeigten jetzt Forscher der University of Texas. Verblüfft stellten sie fest: Was beim Menschen die Gesichtszüge bildet, den Mund breit zieht oder die Nase streckt - das bringt auch das Gesicht des Hundes in Form. Der Schoßhund steht dem Pekinesen ins Gesicht geschrieben, ebenso wie der Wolf dem Schäferhund. Warum beim einen die Schnauze zur Stupsnase geschrumpft ist, während der andere noch immer den Wolf im Gesicht trägt, erklären die Forscher anhand spezieller Abschnitte im Erbgut - die sich in ähnlicher Form auch beim Herrchen wiederfinden.

Mensch und Hund verfügen über eine extrem hohe Rate an Dopplungs-Sequenzen, so genannte Tandem-Repeats, eine Seltenheit im Tierreich. "Ich war verblüfft über die hohe Mutationsrate der Tandem-Repeats, die wir in den Genen der Hunde fanden", sagt John Fondon. Die Wissenschaftler hatten sich das Erbgut von 100 Hunderassen vorgeknöpft und untersuchten es auf Dopplungen hin.

Während sich das Wolfsgesicht über Jahrtausende hinweg kaum veränderte, hat die Hundeschnauze viele Formgebende Schritte hinter sich. In welche Richtung - das haben offenbar maßgeblich Sequenz und Häufigkeit jener Tandem-Sequenzen bestimmt, so die Forschers: "Sie vergrößern und verkleinern jene Körperteile, die nicht die Evolution beeinflusst."

Die DNA besteht aus einer langen Kette von nur vier Bausteinen, symbolisiert durch die Buchstaben A, T, C und G. Diese oder eine andere Abfolge kann sich Hunderte Male ohne Unterbrechung wiederholen: ATCG-ATCG-ATCG-... und so weiter. Verblüfft stellten die Forscher fest: Diese Erbgutdopplungen finden sich ähnlich auch beim Menschen.

Auch in ihren Gefühlsäußerungen sind die Hunde dem Menschen viel näher als ihren Vorfahren. "Hunde kenne Freude, Angst, Nervosität und ein schlechtes Gewissen", sagt die Biologin Friederike Range von der Universität Wien, "sie wissen genau, welches Verhalten bestraft wird und reagieren ängstlich in Erwartung der Folgen." Der Hund hat sich auf sein Herrchen eingestellt, nicht umgekehrt. So war das von Anfang an. Die meisten Wissenschaftler sind der Ansicht, dass der Mensch vor 14 000 Jahren eine weniger aktive Rolle bei der Zähmung des Wolfs spielte, als er sich selbst lange zuschrieb. Denn der Wolf hat sich quasi selbst domestiziert. Die Wölfe suchten offenbar von sich aus die Gemeinschaft des Menschen. Warum? Sie bettelten bei Tisch.

Quelle: http://www.welt.de/welt_print/article1261771/Die_laechelnde_Schnauze.html